www.mensch-im-wandel.de

wasser
 
 

Gestaltansatz

Unter dem Gestaltansatz (Fuhr et al, 1995) verstehen wir jene Verfahren, die sich aus der Gestalttherapie heraus entwickelt haben und auf ihre grundlegenden Arbeitsprinzipien zurückgreifen und die heute in Form der Gestaltberatung, der Gestaltpädagogik oder der Gestaltsupervision praktiziert werden.

Die Grundlagen des Gestaltansatzes sind:
1.) Ziel des Gestaltansatzes ist es, das menschliche Potential zur vollen Entfaltung zu bringen. Im Zentrum steht deshalb die Bewusstheit für das eigene Tun, die eigenen Ziele, die eigenen inneren Anteile, die eigenen Gedanken, Gefühle, Wünsche etc. Die Bewusstheit als das zentrale Element menschlicher Existenz und Veränderung, wird durch angeleitete Übungen, Rollenspiele, Aufgaben zur Selbsterforschung und durch die Präsenz des Gestaltberaters gesteigert, der durch seine neutrale Haltung und seinem Interesse (respektvoller Neugier) an dem Erleben des Klienten/Coachee/Teams einen fruchtbaren Boden schafft. Aus der gesteigerten Bewusstheit ergeben sich neue Einsichten in eigene Verhaltensweisen und eigene Blockierungen können erfahren werden. Wichtig dabei ist, bei den Beteiligten die Haltung des inneren freundlichen Beobachters zu schulen, der sich selbst und den eigenen Stärken und Schwächen auf die Schliche kommt, ohne sich dafür zu verurteilen, also die Fähigkeit zur vorurteilsfreien Wahrnehmung der eigenen inneren Vorgänge.

2.) Ein weiteres Element des Gestaltansatzes ist die eigene Kontaktfähigkeit, für deren Veränderung ein hohes Maß an Bewusstheit benötigt wird. Kontaktfähigkeit bedeutet neben der Notwendigkeit, mit sich selbst in Kontakt zu sein, v. a. im Umgang mit anderen eigenverantwortlich sowohl Nähe und Förderung als auch Distanz und Forderung (mit allen dazwischen liegenden Schattierungen) herstellen zu können - mit anderen Worten: Konflikt- und Konsensfähigkeit. Ziel ist dabei immer die Steigerung des eigenen Verhaltensrepertoires, also die Schaffung von Wahlmöglichkeiten. Verfüge ich nur über eine gut eingeübte Verhaltensweise, habe ich keine Wahl, sondern handle stereotyp. Die eigene Kontaktfähigkeit schließt paradoxerweise polare und scheinbar widersprüchlich erscheinende Handlungsmuster ein: So muss eine Führungskraft fördern und fordern, muss Fragen stellen und Antworten geben, muss seine eigene Existenz und die Existenz der ihr anvertrauten Mitarbeiter verstehen, muss lernen zu motivieren und zu frustrieren etc. Das bedeutet auch, sich der eigenen Grenzen bewusst zu sein.

3) Die Kontaktfähigkeit des Menschen hängt unmittelbar mit seiner Dialog- und Beziehungsfähigkeit zusammen. Mit dem Dialog beziehe ich mich auf das "Du" und überbrücke die Kluft von innen nach außen. Der Gestaltansatz stellt also mit der Dialogfähigkeit ein scheinbar selbstverständliches, aber umso beachtenswerteres Medium in den Mittelpunkt. Nicht wenige Untersuchungen zeigen, wie zentral die Rolle der Kommunikation innerhalb des Unternehmens und zwischen den Hierarchieebenen entscheidend zum Unternehmenserfolg beiträgt. Die darüber transportierte Wertschätzung entscheidet über Engagement und Commitment der MitarbeiterInnen oder über die Demotivation vieler Menschen am Arbeitsplatz, die letztendlich in der erst inneren, dann äußeren Kündigung mündet.

4) Der Gestaltansatz setzt am einzelnen Menschen und an der Ganzheit des Menschen mit seinem hochkomplexen Beziehungsverhalten, seiner emotionalen Bedürfnislage sowie seinen motivationsbasierten Prozessen an. Entscheidend für den nachhaltigen Erfolg eines Coaching- oder Beratungsprozesses ist dabei die Art des Lernens. Aus 20 Jahren Erfahrung als Trainer, Berater, Coach und Therapeut wissen wir, dass ein ganzheitliches Erleben dessen, was verändert werden soll, den optimalen Lernerfolg und -transfer sichert. Erreicht wird dies durch erlebnis- und beziehungsorientiertes Lernen unter Berücksichtigung aller Sinnesebenen. Erkenntnisse und Forschungsergebnisse aus den kommunikations-, sozial- und organisations-psychologischen Ansätzen ergänzen dies sinnvoll.

5) Das letzte Element des Gestaltansatzes, das wir hier anführen möchten, ist die Eigenverantwortung. Das bedeutet autonom in seiner Bedürfnisregulierung zu werden und für den eigenen Erfolg/Misserfolg Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung zu übernehmen bedeutet als Führungskraft - es ist in dem Begriff Verantwortung bereits enthalten - Antworten geben zu können. Antworten auf an sie gestellte Fragen zu reagieren, Antworten auch als Anweisungen oder Vorgaben zu erteilen und notwendige Informationen zur veröffentlichen, um den MitarbeiterInnen eine klare Orientierung geben. Eigenverantwortung zu geben bedeutet auch, den MitarbeiterInnen ein Höchstmaß an Eigenverantwortung zu überlassen, nur dann können sie sich in Verbindung mit einer entsprechenden Anerkennung mit Arbeitsprozess und -ergebnis identifizieren.

Was bietet der Gestaltansatz für Menschen in der Organisation?
Die Entwicklung der Kontaktfähigkeit beinhaltet optimalerweise ein konstruktives Feedbacksystem, um damit einen fruchtbaren Boden für die Selbst- und Fremdwahrnehmung zu bilden. Erfolgreiche Unternehmenskulturen sind besonders effektiv darin, mittels etablierter Feedbackkultur auf die eigenen Produktions-, Kommunikations- und Qualitätssicherungsprozesse zu achten und in kontinuierlichen Verbesserungsschleifen (KVPs) sich selbst, die Produkte und das Unternehmen zu entwickeln. Konstruktive Rückmeldungen einer Gruppe von Peers ist eine unschätzbare Quelle für alle Menschen, für (werdende) Führungskräfte und Manager genauso wie für Angestellte und Mitarbeiter. Unter dieser Prämisse schreibt der Gestaltansatz Menschen ihre Entwicklungswege nicht vor, sondern unterstützt den eigenverantwortlich erspürten und den durch die Anforderungen der beruflichen Rolle geforderten Entwicklungsprozess. Konstruktives Feedback braucht Regeln, damit es konstruktiv wirken kann, so soll es u. a. beschreibend (im Gegensatz zu bewertend), konkret (im Gegensatz zu allgemein) und zur rechten Zeit (im Gegensatz zu zeitlich verzögert) erfolgen.
Im Unternehmensbereich ist eine solche Feedbackkultur keine Selbstverständlichkeit. Zu groß ist die Angst, das Gesicht zu verlieren, den  Nimbus des alles könnenden Managers zu verlieren. Immerhin gibt es neben der herkömmlichen Mitarbeiterbeurteilung durch den Vorgesetzten mittlerweile 360°-Feedbacks, mit dem eine Führungskraft aus mehreren Positionen heraus (Vorgesetzter, Kollegen und Mitarbeiter) Feedback zu seinem Führungsverhalten erfährt. Ein im Sinne des Feedbacks zur Kontaktqualität optimales Instrument. Um diesen Ängsten und Unsicherheiten zu begegnen, ist es nötig, ein Vertrauensfeld aufzubauen, in dem Feedback als Bereicherung und nicht als vernichtendes Instrument angesehen wird. Die dafür notwendige Atmosphäre muss eine Win-Win-Atmosphäre sein, nur so macht Lernen (Persönlichkeits- und Verbesserungslernen) Spaß, was erwiesenermaßen die effektivste Grundlage für nachhaltige Veränderungen darstellt. Der Gewinn für den Feedbacknehmer ist, eine oder mehrere Außenwahrnehmungen zu seiner Person zu bekommen, womit er die Übereinstimmung von seiner Selbstwahrnehmung mit der Fremdwahrnehmung abgleichen kann. Der Gewinn für den Feedbackgeber ist, sich in der Kunst der persönlichen Rückmeldung zu üben, ein wichtiges Instrument in der Mitarbeiterführung. Da der Gestaltansatz mit einer wertschätzenden Grundhaltung auf der Beziehungsebene zwischen Menschen arbeitet, bietet er ein besonders gutes Mittel, um solch ein Vertrauensfeld aufzubauen. Der Mensch als interdependentes soziales Wesen kann sich nur mit anderen voll entfalten und der Weg dahin kann nur über die Steigerung seiner Kontaktfähigkeit erfolgen.